Wenn ein Mensch verloren geht
Seit dem Sommer sind sie an Bord, die neuen Mitarbeiterinnen des Demenzvereins im Landkreis Neunkirchen. Die promovierte Caroline Reis-Gisch hat ihre Vorgängerin im Juli abgelöst. Ihr obliegt die Netzwerkkoordination. Eines der beiden Standbeine des Vereins. In diesem regionalen Netzwerk sind mittlerweile rund 80 Kooperationspartner zusammengefasst. Ihre Aufgabe: Eine Kooperation zur Verbesserung der Pflege-, Diagnose- und Versorgungsstrukturen schwerpunktmäßig demenziell erkrankter Menschen. Reis-Gisch ist zurzeit dabei, den Internetauftritt völlig zu überarbeiten. Und auch an der Organisation der Informations- und Schulungsreihe für pflegende Angehörige und in der Pflege tätige Menschen, die je nach Pandemie-Stand online stattfinden wird, ist sie maßgeblich beteiligt.
Seit genau 15. August ist Nicola Dannert-Zimmer für den Verein tätig. Sie kümmert sich um den zweiten großen Bereich: Die Pflegeberatung. Dannert-Zimmer war 14 Jahre im stationären Bereich in verschiedenen Funktionen tätig, hat viel Erfahrung mit Menschen mit Demenz und deren Angehörigen. Dabei hat sie gelernt: „Je besser jemand informiert ist, desto besser kann sich jemand einbringen.“
Der Dritte im Bunde ist und war Volker Schwarz, Gründungsmitglied, Vorstandsmitglied und Netzworker des 2013 gegründeten und 50 Mitglieder starken Vereins. Der Verein hat seinen Sitz im vom Landkreis zur Verfügung gestellten Räumen in der Martin-Luther-Straße 2 in Ottweiler. Von hier aus wird gearbeitet, hier können auch Beratungen stattfinden. „Das Telefon ist immer besetzt“, erklärt Schwarz. Will sagen: Auch wenn die Drei nur stundenweise vor Ort sind, wird das Telefon immer auf einen von ihnen weitergeschaltet. „Es ruft immer jemand zurück“, bekräftigt Schwarz. Große Unterstützung in seiner Arbeit bekommt der Verein vom Landkreis, weit über die Zurverfügung-Stellung der komplett ausgestatteten Büros hinaus. Das, sagt Schwarz beim SZ-Besuch, gelte genauso für die Gemeinden, die jederzeit bei Bedarf Räume für Veranstaltungen zur Verfügung stellten. Vorsitzender war qua Amtes bis im vergangenen Jahr immer der jeweilige Landrat. Seit 2020 ist es die ehemalige Sozialdezernentin des Landkreises, Birgit Mohns-Welsch.
Die Beratung, Vernetzung, Interessenvertretung, Hilfe und Unterstützung für von Demenz Betroffene und ihre pflegenden Angehörigen hat sich der Verein zur Aufgabe gemacht. Die Menschen, die sich an den Verein wenden, wollen wissen, was steckt hinter dieser Krankheit, was bedeutet die Diagnose. Meist, so sagt Schwarz, sind es die Kinder der Erkrankten, die Ratschläge brauchen. In ganz akuten Situationen berät Dannert-Zimmer auch schon mal von zu Hause aus telefonisch. Aber meist geht sie vor Ort. Das ist ihr wichtig, denn so lernt sie auch die Betroffenen selbst in ihrem vertrauten Umfeld kennen. „Ich kann dann schon sehen: Wie gestaltet sich das Gespräch, bekomme einen Einblick in die Situation, kann die Gefühle erfassen“, erklärt sie. Denn – und das ist allen Vereinsmitgliedern wichtig: Der Demenzkranke soll als das gesehen werden, was er ist – eine Persönlichkeit, ein Mensch, der sich zwar auf Grund der Krankheit mehr oder weniger stark verändert, aber nichts desto Trotz eine Persönlichkeit bleibt, ein Mensch, den es gilt zu respektieren. 2017 hat der Verein erstmals ein dickes Heft herausgegeben: Biographische Informationen zum Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen – Ein Leitfaden für (pflegende) Angehörige. Hier stehen über 40 Seiten zur Verfügung, um die Persönlichkeit des Erkrankten zu erfassen: Erinnerungen, Vorlieben, Rituale.
Der Demenzverein will noch mehr in die Öffentlichkeit gehen, noch mehr sensibilisieren. „Die Zeit der Scham muss vorbei sein“, sagt Schwarz. Da habe der Verein schon einiges bewegt. „Wir haben mit dazu beigetragen, dass die Angehörigen sich nicht mehr schämen, wenn das Verhalten der Erkrankten in der Öffentlichkeit ungewöhnlich ist.“ Denn: „Wenn ich die Persönlichkeit Demenzkranker akzeptieren will, dann gehört auch das Draußen dazu.“ Was man sich ganz klar machen müsse, und dabei hilft die Beratung durch den Verein: Es braucht Zeit, sich auf die Situation einzulassen. „Hier geht ein Mensch schon vor dem Tod verloren“, sagt Schwarz. Das sei nicht leicht zu verkraften, da komme jeder Mensch unterschiedlich damit klar. Peinliche Situationen seien für den Pflegenden oft eine Herausforderung. Für die pflegenden Angehörigen sei es deshalb ganz wichtig, sich Entlastung zu suchen, sich helfen zu lassen, sich nicht zu scheuen, sich an Freunde, ehrenamtliche Helfer oder eben den Demenzverein zu wenden. „Es nützt ja niemanden was, wenn die vor Erschöpfung dann irgendwann ausfallen“, sagt Dannert-Zimmer. „Wir fahren also zweigleisig“, erklärt Schwarz. „Uns geht es zum einen um Hilfestellungen für Betroffene, aber auch um die Angehörigen, die Stress erleben, um deren Entlastung.“ Beide hätten gleichermaßen das Anrecht und den Anspruch auf Beratung.
Hier kommt das Netzwerk ins Spiel. Durch die Vernetzung aller mit dem Thema Betroffenen können die Angehörigen auf jede Menge Infos zurückgreifen, sehen sofort, welche Ansprechpartner es gibt. Für diejenigen, die es lieber haptisch wollen, gibt es auch jede Menge Flyer. Die liegen auch in Arztpraxen aus. Auch die fürs kommende Jahr geplante Schulungsreihe informiert und gibt Tipps. So findet am 13. Januar von 16 bis 18 Uhr der Online-Vortrag „Naturerleben für Menschen mit Demenz“ statt. Dorit Behrens, systemischer Naturcoach und Demenzbegleiterin, informiert über Nutzen, Hintergründe und exemplarische Übungen der Green Care für Menschen mit Demenz. Anmeldung ist erwünscht bis 10. Januar. Am 28. April geht es dann weiter mit dem Thema „Kurzaktivierung mit Alltagsgegenständen“. Von 16 bis 18 Uhr werden verschiedene Übungen vorgestellt, ausprobiert und es werden Ideen gesammelt. Anmeldeschluss ist hier der 25. April. Die Anmeldungen entgegen nimmt Caroline Reis-Gisch unter c.reis-gisch(at)landkreis-neunkirchen.de. Fest geplant ist zudem das Demenzsymposium, das ursprünglich bereits dieses Jahr hatte stattfinden sollen. Die Themen: Demenzdiagnostik, Studien zur (Er)Forschung neuer Medikamente bei Alzheimer und Demenzprävention. Mit dabei werden unter anderem sein Professor Dr. Georg Adler aus Mannheim, Vorsitzender Alzheimergesellschaft Rheinland Pfalz, Professor Dr. Tobias Hartmann, Leiter des deutschen Instituts für Demenzprävention an der Uni Homburg, sowie Professor Dr. Ingo Vernaleken, zweiter Vorsitzender Demenzverein und Chefarzt Psychiatrie Fliedner-Krankenhaus. Der bietet im ersten Quartal 2022 eine Fortbildungsveranstaltung für Hausärzte als den ersten Ansprechpartnern an. Nach deren Diagnose kommt der Demenzverein ins Spiel.